Title
Medienereignisse im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge einer interdisziplinären Tagung aus Anlass des 65. Geburtstages von Rolf Reichardt


Editor(s)
Vogel, Christine; Schneider, Herbert; Carl, Horst
Series
Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 38
Published
München 2009: Oldenbourg Verlag
Extent
VI, 226 S.
Price
€ 34,80
Reviewed for H-Soz-Kult by
Klaus Deinet, Universität Essen

Wer in das jungenhaft-kantige Gesicht des Jubilars blickt, dessen Foto dem anzuzeigenden Band beigegeben ist, meint einen kaum Fünfzigjährigen zu erblicken: Rolf Reichardt, der im Jahre 2005 seinen 65. Geburtstag feierte und den seine Schüler und Kollegen nun mit einem schlanken, aber pfiffig-kunterbunt zusammengestellten Sammelband ehren, hat die Beschäftigung mit der französischen Geschichte zeitlebens als höhere Form der Freizeitbeschäftigung betrieben. Im ‚Brotberuf’ Fachreferent an der Universitätsbibliothek Mainz, galt er in den 1980er-Jahren zusammen mit Eberhard Schmitt als aufgehender Stern der Revolutionsforschung in Deutschland, der es wagte, sich mit dem Altmeister des Faches, dem grimmigen Albert Soboul, anzulegen. Doch anders als Schmitt, der die Französische Revolution gegen die Kolonialgeschichte der Frühneuzeit tauschte, blieb Reichardt seinem Spezialgebiet treu, verlagerte nur den Schwerpunkt seines Interesses von der Geistes- und Verfassungsgeschichte, also von den Texten, hin zur Bildpublizistik. Mit Schmitt, später mit Hans-Ulrich Thamer gibt er seit 1976 die Reihe „Ancien Régime, Aufklärung und Revolution“ heraus, die mit dem vorliegenden Band ihre 38. Nummer erlebt, an der Universität Gießen war er Mitinitiator des Sonderforschungsbereichs „Erinnerungskulturen“ und als tätiger Pensionär leitet er nun am Pariser Deutschen Historischen Institut eine Arbeitsgruppe zur Mediengeschichte der französischen „Sattelzeit“ zwischen 1789 und 1848.

Der Titel des vorliegenden Bandes, breit gestreut in seiner inhaltlichen Vielfalt – die Themen der einzelnen Beiträge reichen von der medialen Verwertung der Conquista Südamerikas (Hans-Jürgen Lüsebrink) über die „Ermordung der Abgeordneten von Auerswald und von Lichnowsky am 18. September 1848 in Frankfurt am Main“ (Remigius Brückmann) bis zu Richard Wagner und den Bayreuther Festspielen (Herbert Schneider) – , ist gleichwohl in seinem methodischen Schwerpunkt Reichardts Arbeitsgebiet verpflichtet und liefert zugleich einen ungewollten Anschauungsunterricht über dessen Chancen und Risiken. Medienereignisse sind für den Historiker ein nicht ungefährliches Terrain, wagt er sich doch gewissermaßen auf das Gebiet der „yellow press“ früherer Zeiten, mit der diesem Feld inhärenten Klatschsucht, der oft zweifelhaften Herkunft seiner Quellen und der überbordenden Geschwätzigkeit seiner Rhetorik. Eine Aladinsche Wunderhöhle tut sich auf, in der man leicht die Orientierung verlieren kann. Davon, dass man die Banalität des Geschilderten feststellt und sich verwundert die Augen darüber reibt, wie viel oder vielmehr wie wenig sich doch die menschliche Natur seit damals gewandelt hat, wird der Befund doch nicht weniger banal. Die bloße Anhäufung von Fakten hilft da ebenso wenig wie die allzu beflissene didaktische Aufbereitung. Auf das Beispiel kommt es an, das sich der Forscher aus dem Wust des Materials herauspickt, und darauf, wie dieses medial aufbereitet wird, wie sich hinter dem Besonderen das Allgemeine auftut. Der Altmeister der Medienhistorie, Robert Darnton, wusste davon ein Lied zu singen. Seine Studien, so anmerkungstriefend sie auch sind, halten doch die Aufmerksamkeit des Lesers immer auf einen Punkt gerichtet.

Von den Beiträgen dieses Bandes kann man das nicht immer sagen. Vor allem der letzte, die Studie über die „Eröffnung der Bayreuther Festspiele 1876 als internationales Medienereignis“, ist ein Beispiel dafür, wie ein Artikel in seinen (französischen, englischen, deutschen und italienischen) Zitaten regelrecht ertrinkt und diese doch nichts anderes belegen, als dass Wagner ein ebenso begabter wie problematischer Inszenator seiner selbst gewesen ist… Auch andere Beiträge erschöpfen sich in der Präsentation ihres – gewiss nicht uninteressanten – Materials. So hätte dem Beitrag von Wolfgang Cilleßen über „Revolutionsbildenthüllungsjournalismus. Niederländische Verwandlungsgrafiken von der Patriotenzeit bis zum Napoleonischen Kaiserreich“ ein wenig mehr an realhistorischer Unterfütterung gut getan, damit der Leser, der sich mit den nach Frankreich und Preußen schielenden Parteigruppierungen in den Niederlanden des 18. Jahrhunderts nicht so gut auskennt geschweige denn die konkreten Abläufe der batavischen Revolution präsent hat, die konkreten Zusammenhänge besser erfassen und die Karikaturen so leichter in den politischen Kontext einordnen kann.

Andere Beiträge wie der von Mathias Middell („Auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen: Die Gegner der Französischen Revolution 1788-1792“) können nicht ganz verleugnen, dass sie aus einem anderen Zusammenhang gelöst und nicht ohne Geschick auf das Generalthema des Sammelbandes hin zugeschnitten worden zu sein scheinen. Der Autor verortet in seinem von funkelnden Formulierungen überbordenden Aufsatz die „doppelte Geburt des französischen Konservatismus“ einerseits in der rationalen parlamentarischen Strategie der frühen Rechten in der Konstituante und andererseits in dem aggressiv-dämonisierenden Fundamentalismus der zweiten Generation der Barruel, Bonald, de Maistre und anderer, und erklärt daraus sehr überzeugend die Janusköpfigkeit, die die europäische Rechte bis heute kennzeichnet: Mitspieler im bürgerlich-parlamentarischen System zu sein und zugleich in Fundamentalopposition zu diesem zu stehen. Was dies allerdings mit der Medienrevolution am Beginn der Moderne zu tun hat, bleibt unklar, erklärt Middell doch selbst, dass die Vervielfältigung der Printmedien in der Französischen Revolution eher eine quantitative als eine qualitative war und der eigentliche Durchbruch zur modernen Presse im England der 1820er-Jahre stattfand.

Es ließen sich aber auch Beispiele dafür anführen, wie durchaus bekannte Thematiken durch die Hinzufügung der Bildpublizistik an Anschaulichkeit und interpretatorischer Schärfe gewinnen, so der Beitrag von Christine Vogel „‚Événements mémorables’. Mediale (Selbst-) Inszenierungen des Parlement de Paris in der Auseinandersetzung mit Ludwig XV.“, in dem sich die Verfasserin mit den im Auftrag des Pariser Parlaments hergestellten Medaillen und der dazu gehörenden Druckgrafik beschäftigt. Sehr informativ und reich bebildert ist auch die Studie von Annette Keilhauer „Die Ambivalenz des Öffentlichen: Mediale Inszenierungen und Frauenrechte im Frankreich des 18. und 19. Jahrhunderts“.

Zwei Beiträge verdienen besondere Aufmerksamkeit; der eine, weil er ein schönes Beispiel für eine gelungene biografische Skizze darstellt, der andere, weil er implizit die Problematik der Medienhistorie selber thematisiert: Gudrun Gersmann liefert mit ihrem Beitrag über „Philippe Curtius: Wachsfigurenmacher, Medienunternehmer, Revolutionär“ ein wahres Kabinettstück im Stil Darntons. Ausgehend von der schillernden Gestalt des Philippe Curtius, des „Nennonkels“ der Madame Tussaud, entwirft sie ein Porträt, das sich in konzentrischen Kreisen um die Gestalt herum zu einer Skizze der Medienlandschaft und der Wahrnehmungsmoden in der französischen Hauptstadt im ausgehenden 18. Jahrhundert erweitert und dabei mehr über die Skurrilitäten und Abgründe der Massenseele um die Wende von der Vormoderne zur Moderne aussagt, als es noch so viele Statistiken und Befragungen könnten, die es damals – man möchte sagen: zum Glück – noch nicht gegeben hat.

Geht Gudrun Gersmann vom Besonderen zum Allgemeinen, so Hans-Ulrich Thamer vom Allgemeinen, hier: dem Phänomen Napoleon als dem Prototyp des modernen Diktators, zum Besonderen, nämlich den medialen Techniken, die seine Herrschaft stabilisierten. Thamer wendet den Weberschen Begriff der „charismatischen Herrschaft“ auf das napoleonische System an. Dieses sei weniger Herrschaft durch Gewalt als vielmehr Herrschaft durch Manipulation gewesen, indem es den Führer, der seine Eignung durch die Präsentation seiner persönlichen Qualitäten beständig nachzuweisen hatte, als den Vollstrecker einer kaum noch befragten, sondern nur mehr virtuell als vorhanden postulierten Volkssouveränität darstellte. Den Nachweis der Eignung des Führers zu erbringen, war Aufgabe der Medien, zunächst spezieller Zeitungen der Italienarmee sowie gezielter Propagandaerzeugnisse wie Gemälden und Münzen, später der offiziellen Feste und Schaudarbietungen bis hin zur Kaiserkrönung im Jahre 1804. Dabei änderte sich das Bild Bonapartes vom jugendlichen Militärhelden („Die Brücke von Arcoli“) über den Kunstliebhaber und Förderer der Wissenschaften hin zum quasi-zivilen Staatenlenker und modernen Pseudomonarchen, der gewissermaßen auf gleicher Augenhöhe mit Cäsar, Karl dem Großen und Alexander verkehrte.

All das wird mit viel Akribie und gelungenen Anleihen bei der Kunstgeschichte dargestellt. Die Frage ist allerdings, wie weit der Autor mit seiner liebevollen Nachzeichnung medialer Effekte selbst in den Bann der Manipulationsstrategie eines modernen Diktators geraten ist. Zwar gesteht Thamer zu, dass die Legitimierung durch Medialisierung überaus labil war und sich beständig neu bestätigen musste. Was aber geschah, wenn die realen Erfolge, auf denen diese Art von Herrschaft fußte, ausblieben? Verwandelte sich die Herrschaft durch Manipulation dann in eine solche durch Gewalt oder durch Angst? Fielen die Menschen nun automatisch von dem Erfolgsverwöhnten, dessen Bilder sie bisher für die bare Münze der Geschichte genommen hatten, ab und distanzierten sich innerlich von diesem? Oder konnte es auch geschehen, dass sie dem strauchelnden Helden mit noch größerer Hingabe anhingen, weil er jetzt auf das Maß des Menschlichen zurückgestutzt schien?

Ein Vergleich mit anderen ‚großen Männern’ der Geschichte hätte gezeigt, dass die Bilder, die die Geschichte von ihren ‚Helden’ entwirft, keineswegs spiegelsymmetrisch entlang einer Achse aus Realerfolg und medialer Vergegenwärtigung verlaufen. Vielmehr kann sich das Verhältnis von politischem Erfolg und Medienwirkung auch umkehren. Misserfolg und Niederlage können überaus suggestive Ingredienzien medialer Inszenierung sein, fast könnte man sagen: erst der gelungene Abgang macht den Mann zum Liebling der Medien. Es ist daher schade, dass die Übersicht über die mediale Selbstverwertung Bonapartes in Thamers Beitrag mit der Kaiserkrönung abbricht, denn bekanntlich war dies nicht das letzte Bild Napoleons in der Historie. In seinen posthumen Mythos, an dem er (ein einmaliger Vorgang in der Geschichte!) noch selber aktiv mitgestrickt hat, ging er keineswegs mit den langweilig-pompösen Bildern des Sieges und der Macht, also den Bezügen zu seiner mittleren Periode, ein, sondern entweder als der zukunftsverheißende Jüngling aus dem Italienfeldzug oder als der „petit caporal“ im immer gleichen Rock: dem Symbol des Kampfes und des leidgeprüften Selbstbehauptungswillens. So jedenfalls wollte ihn die Nachwelt sehen, so zeigen ihn etwa die Werbeanzeigen in den großen französischen Tageszeitungen für Norvins überaus populäre „Histoire de Napoleon“ von 1840, im Jahr des „retour des cendres“.

Zugegeben, diese Sehweise lässt den Aspekt der medialen Selbstinszenierung als Mittel des Machterhalts weit hinter sich. Aber sind die Bilder, die sich das kollektive Bewusstsein auf verschlungenen Wegen selbst entwirft, nicht viel interessanter und auch geschichtsmächtiger als diejenigen, die in offizieller Absicht entworfen werden?... Auf jeden Fall bietet dieser Band nicht nur einen interessanten Einblick in die Fülle der Themen, sondern er liefert implizit auch eine Studie über die Möglichkeiten und die Fallstricke, die sich bei der Darbietung medienhistorischer Themen auftun. Ja, der letztgenannte Beitrag zeigt es, der Sammelband enthält auch Anstöße für eine Selbstbefragung über Chancen und Grenzen der Mediengeschichte selbst.